Othmar Schoeck (1886-1957):

Vom Fischer un syner Fru

Allgemeine Angaben zur Kantate

Entstehungszeit: 1928-30
Uraufführung: 3. Oktober 1930 in Desden (Staatsoper)
Leitung: Fritz Busch
Besetzung: Soli und Orchester
Spieldauer: ca. 45 Minuten
Erstdruck: Leipzig: Breitkopf & Härtel, 1930
Verlag: Zürich: Hug, 2003
Bemerkung: Die Kantate ist ein musikalischer Leckerbissen und der Öffentlichkeit kaum bekannt. Die Musiksprache Schoecks ist zwar sehr expressiv, aber doch der Spätromantik noch stark verpflichtet. Dem Schöngesang wird noch Stellenwert eingeräumt, was nicht ausschließt, dass die hochdramatischen hysterischen Ausbrüche der Fischersfrau, wenn sie ihre Wünsche durchsetzen will, im Gegensatz zu ihren Gesangspartnern nicht unbedingt textverständlich sind. Mit den Mitteln moderner Bühnentechnik, die häufige und geschwinde Bildwechsel ermöglichen, kann die Kantate durchaus in Szene gesetzt werden.
Opus: op. 43

Zur Kantate

Art: Dramatische Kantate in sieben Bildern
Text: Phillip Otto Runge nach der Märchensammlung der Brüder Grimm
Sprache: plattdeutsch
Ort: im Märchenland
Zeit: zur Märchenzeit

Personen der Handlung

Die Frau: (Sopran)
Der Mann: (Tenor)
Der Butt: (Bass-Bariton)

Handlung

ERSTES BILD: Pißputt

„Mann! Hast du hüüt niks fangen?“ Von seiner dominanten Ehehälfte wird der arme Fischer gemaßregelt, als ob es seine Schuld sei, dass die Fische nicht anbeißen wollen. Doch tatsächlich hatte er einen Butt gefangen, den er aber wieder ins Wasser gleiten ließ. Der Fisch konnte nämlich sprechen und hatte erklärt, dass er ein verzauberter Prinz sei. Mitleid ist ein Gebot der Nächstenliebe, argumentiert der Ehemann, und ein verhexter Fisch ist dem Magen gewiss nicht bekömmlich. Das leuchtet ein, aber hat er sich von dem Butt für die Freilassung von der Angelschnur kein Lösegeld gewünscht? Ein Fisch, der sprechen kann, besitzt magische Kräfte und kann auch zaubern, ist die Ansicht der Fischersfrau. Ihm sei nichts eingefallen, was er sich hätte wünschen können, kommt in aller Bescheidenheit die verblüffende Antwort.

So viel Dummheit ist übel. Soll sie etwa lebenslänglich in einer Tonne wohnen? Ein bisschen Komfort sollte schon sein. Der jetzige Zustand ist einfach ekelhaft. Eine kleine Hütte hätte sie für ihr Leben gern. Der Mann soll noch einmal ans Ufer gehen und den lieben Fisch rufen. Vielleicht kommt der Butt öfter in die Gegend. Einen berechtigten Wunsch wird er nicht abschlagen und für seine Freilassung möge der Gute sich gefälligst dankbar erweisen.

Der Mann gehorcht dem Wunsch seiner Frau und kehrt an das Meeresufer zurück. Offenbar hat der Butt seine Rückkehr erwartet, denn er kommt gleich angeschwommen. Nun gibt der Bedrängte den Spruch von sich, der in den deutschen Zitatenschatz eingegangen ist, und jeder ältere Bürger kennt ihn aus den Schulbüchern:

Manntje! Manntje! Timpe Te!
Butje! Butje in der See!
Myne Fru de Ilsebill
Will nit so as ik wol will.

Der Butt ist misstrauisch, aber nicht undankbar. Er zeigt sich nicht in Person, sondern hält sich im Orchestergraben verborgen. „Na, wat will se denn?“

„Se maag nich meer in 'n Pißputt wanen, se wull geern ne Hütt.“

VERWANDLUNG

„Ga man hen, se hett se all.“ Er soll nach Hause gehen, er habe die Sache bereits in die Reihe gebracht, der Wunsch sei erfüllt! Das nennt man Tempo!

ZWEITES BILD: Hütte

Kumm man her,
Süh, nu is dat doch viel better,
Süh, is dat nich nett?

Ja, so soll es bleiben! Nun wollen sie vergnügt leben, freut sich der Mann. Darüber muss erst einmal nachgedacht werden. Die beiden tanzen zusammen. Trallalalah! Doch dann begibt die Frau sich plötzlich außer Reichweite. Sie lässt ihn einfach stehen und er beginnt, seine Netze auszubessern. Nach einer Weile kommt sie zurück und verkündet, dass die Hütte wohl doch ein bisschen zu eng und der Garten zu klein sei. Dem Butt hätte es bestimmt nichts ausgemacht, ein größeres Haus zu schenken, welches aus Stein gebaut ist. Er soll noch einmal zum Butt gehen und um ein Schloss bitten. Mit dem Gedanken kann der Mann sich nicht anfreunden. Was sollen sie mit einem Schloss? Die vielen Räume müssten doch einer Nutzung zugeführt und in der kalten Jahreszeit beheizt werden. Er soll nicht mit überflüssigen Einwänden kommen. Schließlich lassen die Räume sich gewinnbringend vermieten und er könnte seinen Beruf nachhängen, wenn ihm danach ist. Der Butt hat ihnen erst gerade eine Hütte geschenkt und da mag er nicht schon wieder mit neuen Wünschen kommen. Der Fisch könnte sich verärgert zeigen. Aber könnte es sich nicht auch so verhalten, dass der Butt sich erfreut zeigt, wenn man ihm eine Aufgabe stellt? Der Mann findet es zwar nicht richtig, leistet aber der gebieterischen Handbewegung seiner Frau schließlich doch Folge. Am Ufer angekommen, sagt er den bekannten Spruch auf und bittet um ein Schloss, damit seine Frau zufrieden sei. Der Fisch zeigt sich großzügig. Zu seinem angenehmen Charakter lässt er seine beliebte volltönende Bassstimme erklingen.

DRITTES BILD: Ritterschloss

Kumm man herin.
Na, is dat nun nich schöön?

Ja, so soll es auch bleiben. „Nu wähl wy ook in das schöne Slott wanen und wähl'n tofreden syn!“ Die Frau will es bedenken und erst einmal darüber schlafen. Kaum ist er mit einem Seufzer eingeschlummert, wird er schon wieder geweckt. Er wischt sich den Schlaf aus den Augen und ist nun bereit zuzuhören, was sein Liebling ihm zu sagen hat. Versonnen war sie ans Fenster getreten, hatte in die sternenklare Nacht hinaus geschaut und sich Gedanken gemacht, was sie sich noch vom Butt wünschen könnte. Über das schöne Land welches sie vor sich sieht, möchte sie Königin sein. Er will aber nicht König werden. Das ist auch nicht vorgesehen, sie wird regieren und er ist lediglich der Prinzgemahl. Er soll stracks zum Fisch gehen und ihm den Wunsch vortragen, aber so tun, als ob er von ihm käme. Es hilft nichts, der Mann muss gehorchen, weil sie keine Ruhe gibt. „Mantje! Mantje! Timpe Te ...“ Der Konzertbesucher kennt den Spruch inzwischen auswendig und kann sich das positive Resultat fast denken.

VIERTES BILD: König

Der erfüllte Wunsch gebiert ein neues Anliegen. Die Gier des Menschen kann unersättlich sein. Der Mann will sich mit ihr freuen, dass sie Königin ist, nun will sie auch noch Kaiserin werden, weil sie sich von dieser Position angeblich mehr Abwechslung verspricht. Im ganzen Reich gibt es nur einen Kaiser, wendet der Mann ein, und dieser Rang ist im Moment zu seinem Bedauern vortrefflich belegt. Diesen Wunsch kann der Butt beim besten Willen nicht erfüllen. Die Frau soll bitte nicht unverschämt werden. Positive Gefühlsregungen kommen nicht zum Ausbruch, jedoch ihre Willenskraft bringt sie voll zum Einsatz. Widerspruch wird nicht geduldet, der Untertan hat zu gehorchen.

FÜNFTES BILD: Kaiser

Die Ehrgeizige ist nun Kaiserin geworden und immer noch nicht zufrieden. Der Mann soll nicht herumstehen und so tun, als ob es nichts mehr zu wünschen gäbe. Papst möchte die Frau nun werden, obwohl sie nicht ein bisschen theologisch geschult ist. Sie findet Gefallen am Hirtenstab und will sich die Tiara auf das Haupt setzen. Noch heute will sie das Oberhaupt der Christenheit werden. Das kann der Butt bestimmt nicht einrichten, doch der Fischer hat sich getäuscht. Der allmächtige Butt erfüllt auch diesen extremen Wunsch. Im Moment ist die Frau auch zufrieden, sie kopiert den gregorianischen Gesang und übt in ihrem neuen Umfeld segnende Handbewegungen. Doch dem Himmel wird es allmählich zu viel, aus dem Orchestergraben ertönt Donnergrollen, obwohl das vorzügliche Vokalisieren der Fischersfrau mit Engelsgesang durchaus in Wettstreit treten könnte.

SECHSTES BILD: Sakralraum

Nun hofft der Konzertbesucher, dass die Frau endlich zufrieden ist, aber sie steht zur Nachtzeit am gotischen Kirchenfenster und betrachtet die Gestirne. Der Mond hat die Gabe, sich zu wandeln. Mal hat er die Form einer Sichel und heute ist er rund und eidottergelb. Wäre es nicht ein wundervoller Spaß, wenn sie die Macht besäße, Sonne und Mond ganz nach Gutdünken aufsteigen und untergehen zu lassen? Sie gönnt sich keine ruhige Stunde mehr und stöhnt in einem fort, so sehr wird sie von ihrem Begehren geplagt. Ihren Mann schickt sie los: „Glyk ga hen. Ik wil warden as de lewe Gott!”

Im Orchestergraben rauscht das Meer und kündet einen Orkan an. Der Zauberfisch kommt unheilkündend geschwommen, aber diesmal gibt es eine Abfuhr. Noch sonorer als gewöhnlich klingt seine Bassstimme aus der Tiefe: „Ga man hen. Se sitt all wedder in Pißputt.“

SIEBTES BILD: Pißputt

„Ah! Ah! Ah!“ Man hat nichts mehr zu verlieren. Das Paar übt sich in Schöngesang, vokalisiert den ersten Buchstaben des Alphabets und schmückt ihn mit vielen Verzierungen aus. Keine Hetze, kein Stress, nur die Sorge um die tägliche Fischmahlzeit. Es ist Ruhe eingekehrt, der Butt kommt nicht mehr und das Meer schäumt nicht mehr auf.

So klingt das Märchen von Gier und Unersättlichkeit aus. Vielleicht ist es gar kein Märchen, sondern nur ein Gleichnis von der Unzufriedenheit des Menschen. Die harte Realität wiederholt sich ständig, nur die Wünsche haben eine andere Gestalt.


Letzte Änderung am 26.2.2013
Beitrag von Engelbert Hellen