Karl Martin Reinthaler (1822-1896):

Jephta und seine Tochter

englisch Jephta and his Daughter / französisch Jephté et sa fille

Allgemeine Angaben zum Oratorium

Entstehungszeit: 1852-55
Uraufführung: Wuppertal-Elberfeld unter Reinicke
Besetzung: Soli (SATTBB), Chor (SATB) und Orchester
Spieldauer: ca. 125 Minuten
Erstdruck: Leipzig: Breitkopf & Härtel, ca. 1857
Bemerkung: Das in Rom komponierte Oratorium wurde 1979 in Bremen wiederentdeckt, wo Reinthaler einen Großteil seines Lebens als Städtischer Musikdirektor und Domkantor gewirkt hatte, in Erfurt wurde es 1897 zum letzten Mal aufgeführt.

Zum Oratorium

Art: Oratorium in zwei Teilen und fünf Szenen
Libretto: nach dem Alten Testament, Buch der Richter Kapitel 11
Sprache: deutsch
Ort: das Heilige Land
Zeit: um 1300 vor unserer Zeitrechnung

Personen der Handlung

Jephta: ein israelischer Feldherr
Mirjam: seine Tochter
Ephraim: ihr Beschützer
Weitere: Propheten, Jungfrauen, Krieger und Volk

Handlung

1. Teil:

Erstes Bild: DIE NOT DER KINDER ISRAELS

Das Volk der Juden beklagt sich, weil der Herr zu wenig unternimmt, um es vor Schaden zu bewahren. Der Feind versucht, die Kinder Israels zu zertreten, und ihre Anführer liegen erschlagen auf den Höhen. Durch den Mund eines Propheten erteilt der Herr Antwort und stellt die Unzufriedenen zur Rede. Hat es sich nicht so verhalten, dass sein Volk schon des öfteren vor der gleichen Situation stand, als sie sich in den Händen der Ägypter und Philister befanden und ihn um Hilfe anflehten? Doch von Dankbarkeit keine Spur! Abgewandt hatten sie sich von ihm und fremden Göttern gehuldigt. Fett und satt sind sie geworden und der schuldige Respekt blieb auf der Strecke. Den heidnischen Göttern sollen sie ihr Leid klagen und schauen, dass sie von diesen Hilfe erhalten. Der Herr verspürt keine Neigung, Hilfe zu gewähren, nachdem seine Erhabenheit zuvor gründlich missachtet wurde. Das Volk sieht ein, dass es nicht pflichtschuldig gehandelt hat und empfangene Wohltaten nicht ausreichend gewürdigt wurden.

Eine Jungfrau schaltet sich in den Dialog ein. Sofern man nach dem Herrn sucht, wird er sich auch finden lassen. Er verstößt nicht ewig und wird sich mit unendlicher Gnade erbarmen, wie das so seine Art ist. Der Prophet rät, die Flehenden sollen hingehen, ihre Kleider zerreißen und sich dann frisch gebadet erneut vor das Angesicht des Herrn begeben und dringlicher appellieren Das Volk bekräftigt, dass der Herr in Bedrängnis die einzige Zuflucht und grundsätzlich der alleinige König von Israel ist. Er darf schlagen, er kann heilen, er kann töten und wieder lebendig machen, ganz nach Gutdünken und Laune. Er führt in die Hölle hinein und auch wieder heraus. Der Herr möge doch bitte seinem Volk helfen und den glimmenden Docht nicht verlöschen lassen. Der Herr Gott Zabaoth möge seine Knechte trösten und sein Angesicht über sie leuchten lassen, damit sie wieder gesund werden. Er allein und sonst niemand ist König von Israel und jetzt soll er endlich helfen.

Zweites Bild: JEPHTAS ERWÄHLUNG

Mirjam, die Tochter Jephtas, und ihre Freundinnen haben vom Auszug der Kinder Israels aus Ägypten ulkige Erinnerungen, deren Wahrheitsgehalt schwer nachzuvollziehen ist. Als das Haus Jakob aus fremdem Lande ankam, war Juda sein Heiligtum und Israel seine Herrschaft. Das Meer sah es und floh und der Jordan wandte sich zurück. Die Berge hüpften wie die Lämmer und die Hügel wie die jungen Schafe. Vor dem Herrn bebte die Erde als Israel aus Ägypten auszog.

Jephta hatte Probleme mit seinen Stiefbrüdern und Übles durchmachen müssen. Wegen seiner unehelichen Geburt haben ihn seine Verwandten aus seinem Elternhaus ausgestoßen. Gott hat Frevler nun in des Feindes Hand gegeben. Endlich Rache! Der Herr tut ihnen, wie sie ihm getan haben. Sie hörten seine wehklagende Stimme nicht. In wilder Wut trieben sie ihn weg vom Hause des Vaters in die dürre Wüste. Wasser gab es dort leider nicht! Er weinte, er flehte, seine Brüder sollen ihn doch in den Hütten Jakobs wohnen lassen. Man verweigerte es ihm, und nun ist er hier unter den Heiden ein Fremdling geworden, kennt sich aber mit dem Gesindel aus.

Mirjam ist der Ansicht, dass der Vater vergeben soll, was die Familie Übles an ihm tat. Der Herr hat die Angewohnheit, sein Volk durch schwere Prüfungen heimzusuchen. Vorsorglich soll er sein Herz den Brüdern zuneigen, die sich reuig um Hilfe an ihn gewandt haben. Den Grimm soll er besser fahren lassen, weil man nicht weiß, ob der Herr es übel vermerken und andererseits seinen Zorn an der Familie auslassen könnte. Wenn er sich gütig zeigt und in Jacobs Haus zurückkehren wird, um was er gebeten wurde, wird der Allmächtige die Feinde schlagen, dass sie für ein Weilchen Frieden geben.

Die Ältesten der Kinder Israels befinden sich in Trübsal und bitten den Verstoßenen um seiner militärischen Kompetenz willen, mit ihnen gegen den Feind zu Felde zu ziehen. Jephta tut empört. Sind sie es nicht, die ihn hassen und ihn aus seines Vaters Haus davon gejagt haben? Jetzt kommen sie zu ihm, weil sie sich in Verlegenheit befinden. Die Sippschaft verspricht ihm, dass er das Oberhaupt über alle werden wird, die in Gilead wohnen. Nun gut, wenn sie wollen, dass er mit ihnen zieht und er ihnen den Feind in die Hände gibt, wünscht er Richter zu sein in Israel - ein Leben lang. Der Herr soll sie bestrafen, wenn sie seinen Wunsch nicht erfüllen.

Drittes Bild: DIE FEINDE

Es ergeht eine Warnung an die Widersacher. Fliehen sollen sie und sich eilends davon machen! Die Pfeile sind scharf und die Bogen gespannt. Auf ihren Rossen werden die Kinder Israels fliegen wie der Adler in den Wolken. Am Lagerfeuer machen sich die Kämpfer gegenseitig Mut. Die müden Hände sollen gestärkt und die strauchelnden Knie erquickt werden. Den verzagten Herzen soll gesagt werden, dass sie sich nicht fürchten sollen. Ihr Gott wird zur Rache schreiten und das Erforderliche erledigen. Jephta erhebt sich und stellt fest, dass der Morgen graut und der Tag anbricht. Die lahmen Krieger sollen aufstehen, sich zum Streite waffnen und im Gewühle der Schlacht mutig kämpfen. Nur so kann der Sieg errungen werden.

Die Feinde klopfen ebenfalls die großen Sprüche. Baal wird ihnen den Sieg verleihen. Sie müssen lediglich das Schwert ziehen und ihr Mütchen kühlen. Erschrocken stellen die Kinder Israels fest, dass der Herr nicht mit ihnen ist, und fliehen. Jephta verlegt sich nun aufs Beschwatzen und hat eine kuriose Idee. Wenn der gewaltige Gott den Feind in seine Hände legt, wird er ihm als Belohnung ein Schlachtopfer bringen. Geopfert wird die erste Person, die von den Hügeln herabsteigt, um ihn zu seinem Sieg über die Ammoniter zu beglückwünschen. Die Stimme von Gott Zabaoth – bildlich gesprochen - ertönt lautstark und erschreckt die Feinde. Dann kommt er selbst, sein Grimm verzehrt die Ammoniter wie das Feuer die Stoppeln auf dem Ährenfeld. Der Sieg ist in Reichweite.

2. Teil:

Viertes Bild: DER SIEG UND DAS LEID

Im Kreise ihrer Gespielinnen versucht Mirjam, ihr unruhiges Herz zu beschwichtigen. Wieso betrübt sich ihre Seele? Sie wird auf Gott harren, der ihr sein Angesicht zeigen und helfen wird. Im Moment wandert sie zwar im finsteren Tal, doch ein Unglück fürchtet sie trotzdem nicht. Wenn der Herr bei ihr ist, kann nichts Schlimmes passieren. Die Freundinnen empfehlen Mirjam, ein Lied zu singen, denn Israel ist frei geworden. Mirjam ergänzt: Wenn Israel tatsächlich frei ist, soll man die Harfen nehmen und ihr Zimbeln geben, damit sie dem siegreichen Heer frohen Mutes entgegengehen kann. Mit fröhlichem Schall sollen Saitenspiel und Harfen erklingen, denn die rechte Hand des Herrn hat große Wunder vollbracht. Es muss aber eingeschränkt werden, dass es nur ein eher kleiner Sieg gewesen sein kann, denn die großen Erfolge werden mit Pauken und Trompeten verbreitet. In jedem Fall hört Zion den Siegesgesang, und die Töchter Judas sind fröhlich und vollführen traditionelle Reigentänze. Den Herrn muss man lieb haben, denn er leitet mit Barmherzigkeit sein Volk, welches er erlöst hat und zeigt ihnen seine heilige Wohnung.

Die Tochter geht auf den Vater zu, um ihn zu begrüßen. Ach, wie es ihn beutelt und betrübt. Den Mund hat er aufgetan gegen den Herrn und dummes Zeug geplappert. Er kann es nicht widerrufen und ist an seine Zusage gebunden. Warum ist er eigentlich geboren und hat etwas aufgezogen, was lieblich anzusehen ist. Kann der Herr tatsächlich so grausam sein und auf die Einhaltung seines Gelübdes bestehen? Wird der Allmächtige ihm solches antun und sich als sein Feind gebärden? Jeptha schenkt seiner Tochter reinen Wein ein. Nun wird sein einziges Kind ihm zum Betrübnis und er wünscht sich, dass seine Seele sterben möge. Der Vater jammert herzzerreißend und verflucht seinen verrückten Einfall. Das Volk agiert vage und meint ganz allgemein, dass vor dem Herrn niemand bestehen kann, wenn dieser das harte Urteil spricht und durchsetzt. Er allein hat zu sagen!

Auch Mirjam ist der Ansicht, wenn man gegen den Herrn seinen vorlauten Mund aufgemacht hat, muss man das gegebene Versprechen auch einhalten. Im Prinzip wird sie sich nicht querstellen und möchte lediglich mit den anderen Jungfrauen hinauf in die Berge ziehen, um zwei Monate lang ihre Jugend zu beweinen. Sie soll sich beeilen, der Herr wartet nicht gern. Die Berge sind herrlich und die Blumen blühen im Tale. Der Lenz ist gekommen und die Rosen geben ihren lieblichen Duft. Schön ist des Tages Glanz und lieblich die abendliche Kühle.

Die Tränen der Freundinnen fließen wie Sturzbäche und der Reigentanz ist mit Wehklagen verbunden. Die Betrübten sollen das Weinen lassen und ihr nicht das Herz brechen, lediglich weil die Schatten des Todes sie umfangen werden. Sie ist des Herren Magd, und die Güte Gottes ist wertvoller als das Leben. So hat jedes Lebewesen seine eigene Logik.

Fünftes Bild: DIE ENTSCHEIDUNG

Ephraim, ein junger Krieger hat schon seit längerer Zeit ein Auge auf die Jungfrau geworfen. Wie denn, was denn, Mirjam soll sterben, geopfert werden am Altare? Sie soll hinab in die Grube fahren, durch grausames Gelübde? Der Herr möge seinen Arm ausstrecken und die Hand mit Feuer verzehren, die solches tut. Lieblich und schön wie die Rose im Tal, ihr Auge hell wie Himmels Glanz, kam sie herab von des Berges Höhe mit frohem Reigen, den Vater zu grüßen, und wie der Vögel süßer Gesang tönte ihr Lied. Sie soll nun fallen wie das Gras des Frühlings? Ihr Berge von Gilboa und ihr Hügel umher, es soll weder regnen noch tauen auf euch, wenn solche bitterböse Tat geschieht! Die Söhne Israels werden sich vor dem Übermut Jephtas nicht beugen! Es ist ein Gräuel vor dem Herrn, unschuldiges Blut zu vergießen. Die Krieger denken genau so wie er. Überhaupt: Jephta nimmt sich zu viel heraus, denn er will mit Gewalt über alle herrschen. Ephraim macht den Vorschlag, den Anmaßenden zu überfallen, wenn er das Opfer vorbereitet. Er wird ihn erschrecken und das Volk wird seinen Unmut teilen. Dann könnte man über den Alten herfallen und ihn verprügeln. Die Krieger stimmen zu.

Jephta ist mit sich selbst auch nicht im Klaren, ob er seine Tochter sterben lassen oder das Opfer doch verweigern soll. Die Wasserwogen und Wellen, die der Herr schickt, gehen über sein Haupt. Die Menschen widersetzen sich ihm, und vom Allmächtigen bekommt er kein Zeichen des Verzichts. Ist sie nicht sein Fleisch und Blut und seiner Augen Trost? Warum hat der Herr ausgerechnet sie zum Opferlamm erwählt. Aus der Tiefe seiner Seele ruft er zu ihm, sich das Elend seines Knechtes einmal näher anzuschauen. Mit Abraham hat der in seiner großen Güte doch auch Mitleid gehabt. Jeptha erhält Verstärkung durch den Madrigalchor mit eingebautem Sopran-Solo. Wie ein Lamm geht Mirjam dahin, welches zum Tode geführt wird. Mirjam dagegen ist völlig verzückt, sich nützlich erweisen zu können. Gibt es etwas Schöneres, als für die Gemeinschaft ein Opfer zu bringen, selbst wenn es das eigene Leben ist? Der Vater soll wohl leben und die Gespielinnen auch. Die Welt wird sie verlassen, und der Name des Herrn sei geheiligt. Das Volk fürchtet eher die Rache des Herrn, wenn Ephraim und seine Gesellen sich in die Zeremonie einmischen. Die Stimme des Herrn wird mit Brausen ergehen und die Zedern des Libanon wird er zerbrechen. Dampf fährt auf von seinem Atem und zehrendes Feuer kommt aus seinem Mund. Niemand ist sich sicher, was besser ist, die Jungfrau zu töten oder vom Opfer abzulassen. Was will der Herr wirklich? Wie so oft kommt Hilfe aus dem Mund eines Propheten, vorausgesetzt er fühlt sich als Sprachrohr des Gottes Zabaoth. Der opferbereite Jephta soll die Hand nicht an die Tochter legen! Seine Rede enthalte keine Weisheit und beinhalte lediglich Unverstand. Heilig ist die Tochter dem Herrn und er will ihr kein Leid zufügen. Jephta bedankt sich artig für Rettung aus höchster Not. Der Herr ist barmherzig, gnädig, geduldig und von großer Güte. Gnade hat der Reumütige vor seinen Augen gefunden. Mirjam wird leben und ihr Mund wird sein Lob überall verkünden. Der Madrigalchor wird sie hierbei unterstützen und schlägt vor, jetzt das Halleluja anzustimmen.


Letzte Änderung am 28.7.2007
Veröffentlichung mit Zustimmung von musirony