Frank Martin (1890-1974):

Le vin herbé

deutsch Der Zaubertrank

Allgemeine Angaben zum Oratorium

Entstehungszeit: 1938-41
Uraufführung: 1942 in Zürich
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Erstdruck: Wien: Universal Edition, 1943
Verlag: Wien: Universal Edition, 1988

Zum Oratorium

Art: Oratorium in drei Teilen mit einem Prolog und einem Epilog
Libretto: vom Komponisten auf Anregung von Robert Blum nach dem Roman “Tristan et Iseut” von Joseph Bédier sowie der Novelle ”Sparkenbroke” von Charles Morgan
Sprache: französisch
Ort: Irland, Cornwall und die Bretagne
Zeit: Mittelalter, etwa 12. Jahrhundert (auch früher)

Personen der Handlung

Isot Blondhaar
Tristan
Isots Mutter
Brangäne
König Marke
Junge Magd
Ogrin
Kaherdin
Herzog Hoël
Bedalis
Weitere: Isot Weisshand

Handlung

Prolog:

Der Madrigalchor fragt die Konzertbesucher, ob sie ein schönes Lied von Liebe und Tod hören möchten. Es handele sich um die Geschichte von „Tristan und Isot“, die sich liebten in großer Lust und in großem Kummer und am gleichen Tag daran starben.

Durch beharrliches Schweigen und gelegentliches Hüsteln bringen die Konzertbesucher ihre Zustimmung zum Ausdruck.

1. Teil:

DER LIEBESTRANK

Erstes Bild:

Die Mutter von Isot ist sehr besorgt und möchte, dass die eheliche Verbindung mit dem älteren König Marke sich auf Liebe gründet. In Wald und Feld sucht die Heilpraktikerin nach Kräutern, Blumen und Wurzeln, mischt diese in Wein und braut daraus mit Weisheit und zauberischer Kunst ein machtvolles Tränklein. Sie füllt das Gemisch in ein Fässchen und übergibt es Brangäne zu treuen Händen. Das Mädchen ist Isoldes treue Freundin, die auf das kostbare Gepäckstückchen während der Seereise aufpassen soll, damit kein Auge es erblickt und keine Lippe an dem Getränk nippt. Wenn es soweit ist und die Nacht der Vermählung mit König Marke naht, soll sie den Kräuterlikör in einen Becher gießen, und sorgen, dass beide reichlich davon trinken. Da eine geheime Kraft in dem Tränklein verborgen liegt, darf kein Tröpfchen an fremde Lippen gelangen; deshalb muss der Becher hinterher sorgfältig ausgespült werden.

Der Madrigalchor weiß seltsamerweise trotzdem Bescheid, denn er verkündet den Konzertbesuchern, dass alle, die gemeinsam aus dem Fässchen trinken, sich mit allen Sinnen und Gedanken lieben werden, immerdar, sogar bis über den Tod hinaus. – Amore auf keltisch!

Zweites Bild:

Isot ist auf Tristan nicht gut zu sprechen. Einst hat er ihren Onkel Morolt im Zweikampf erschlagen, und jetzt entführt er sie gegen ihren Willen per Schiff an die fernen Gestade einem unbestimmten Schicksal entgegen. Ihrer Vertrauten Brangäne klagt sie ihren Kummer. Der als Held berühmte Tristan bezeugt selbst kein Interesse an ihr, worüber sie ein bisschen ärgerlich ist, weil alle Menschen ihre außerordentliche Schönheit loben und sie begehrenswert finden. Lediglich als Brautwerber für einen ihr unbekannten König, der aus dynastischen Gründen auf seine alten Tage noch einen Sohn zeugen möchte, ist er aufgetreten. Irlands Küste entschwindet, und das Heimweh und die Sehnsucht nach der Mutter erfassen die Jungfrau. Tristan versucht mit sanfter Stimme, ihr die Namen der vorbeiflatternden Seevögel beizubringen. Ihre Reise in das unbekannte Land zu einem unbekannten Gemahl will er ihr schmackhaft machen, stößt aber nur auf Ablehnung. Isot fühlt sich als Beute, die der Unverfrorene mit List geraubt hat und stellt hochmütig eine finstere Miene zur Schau. Verflucht sei das Meer und verflucht sei das Schiff, das sie trägt. Lieber in der Heimat sterben, als in dem Land von König Marke leben. Der Madrigalchor ist gleicher Ansicht.

Drittes Bild:

Wenn kein Wind die Segel aufbläht, kann ein Segelschiff nicht segeln. Die Ruderer kommen nur langsam vorwärts, und da ist es besser, man läuft eine Insel an, bis es wieder Wind gibt. Die Ritter und das Schiffsvolk verlassen den Segler, um sich an Land ein bisschen die Füße zu vertreten. Isolde ist misslaunig und bleibt unter der Obhut von Tristan und einer Dienstmagd auf dem Schiff zurück. Herr Tristan gibt sich alle Mühe, das Gemüt seiner zukünftigen Königin aufzuheitern. Die Mittagssonne brennt, und beide haben Durst. Die junge Magd soll das Handgepäck nach Trinkbarem durchsuchen und findet das Fässchen mit Wein, welches die Mutter von Isot in die Obhut Brangänes gegeben hat. Das Mädchen füllt den Becher und überreicht ihn der Herrin. Diese trinkt in langen Zügen. Auch Tristan bekommt einen Anteil ab und beide trinken so lange, bis das Fässchen leer ist.

Eine Bassstimme und ein Tenorsolo müssen - ohne einschreiten zu können - alles hilflos mit ansehen. Es war kein Wein, was die beiden getrunken haben, sondern die Leidenschaft, die bittere Freude und Herzensnot ohne Ende und den Tod bringen wird!

Die Gesichter des schicksalhaft füreinander bestimmten Paares hellen sich zusehends auf. Brangäne, vom Inselrundgang endlich zurück, sieht wie die beiden sich verzaubert anschauen. Das leere Fässchen und die Trinkgefässe sagen ihr, dass die beiden genippt haben. Temperamentvoll wirft sie das Trinkgeschirr in die Wogen, macht sich heftige Vorwürfe und verflucht den Tag ihrer Geburt. O Jammer!

Viertes Bild:

Das Schiff ist wieder auf Kurs. Ein Brombeerstrauch mit spitzen Dornen und duftenden Blüten hat seine Wurzeln in sein Herz gesenkt und fesselt den kampferprobten Helden mit starken Ranken an den schönen Leib Isots. All sein Sinnen und all sein Begehren ist bei ihr. Wie soll er sich als angenommener Sohn und Vasall vor König Marke verantworten? Die Vergangenheit beschwert sein Gemüt.

Vier Schurken - Andret, Denovalen, Ganelon und Gondoin - hatten ihn bei König Marke angeschwärzt, dass er das Land Cornwall für sich begehre. In Wirklichkeit verhält es sich jedoch so, dass König Marke den Sohn seiner Schwester Blanchefleur, die bei der Geburt des Kindes gestorben war, aufgrund seiner Tugenden gern als Thronerben sehen würde. Mit der Begründung, dass er, Tristan, väterlicherseits unbekannter Herkunft sei, weigern sich die Herzöge, seine Nachfolge anzuerkennen. Um einen Bürgerkrieg zu verhindern, sieht König Marke sich genötigt, auf seine alten Tage noch selbst Nachkommenschaft zu zeugen, obwohl er aus emotionalen Gründen gar nicht interessiert ist. Als würdige Partnerin käme die irische Prinzessin Isot Blondhaar in Betracht.

König Marke hatte einst Vaterstelle an dem Jungen angenommen und ist ihm unentwegt mit Wohlwollen begegnet. Jetzt hat Tristan das Gefühl, ihn wider wirkliches Wollen auf unredliche Weise zu verraten und seine Ehre zu zerstören. Isot ist die zukünftige Frau des Königs, und es ist ihm nicht erlaubt sie zu besitzen oder zu lieben. Wie soll er diesen Knoten lösen? Der Madrigalchor weiß es auch nicht.

Fünftes Bild:

Isot ist krank vor Liebe. Ursprünglich hatte sie Tristan begehrt, doch da er sie verschmähte, begann sie ihn zu hassen. Weshalb der Wind sich nun plötzlich gedreht hat, vermag nur Brangäne zu erklären. Sie sieht die Entwicklung der Dinge mit Bestürzung und fühlt sich schuldig. Aufmerksam studiert sie das Verhalten der beiden Liebenden, wie sie sich umschleichen und versuchen, aufeinander zuzugehen, ohne dass es zu einem erlösenden Geständnis ihrer Liebe käme. Sie selbst, die genau weiß, wodurch die Katastrophe verursacht wurde, schreckt noch vor einer Offenbarung des wahren Sachverhalts zurück.

Sechstes Bild:

Auch Isot holt die Vergangenheit ein. Als Spielmann verkleidet suchte „Tantris“ einst bei ihr und ihrer Mutter Heilung. Er hatte Morolt im Zweikampf besiegt, war aber von dessen vergiftetem Schwert verletzt worden. Nun macht sie sich Vorwürfe, weshalb sie ihn nicht einfach hat verbluten oder im Moor sterben lassen. Sie hätte ihn auch erstechen können, als er im Bade lag. - Nun legt sie den Arm auf Tristans Schulter und Tränen verdunkeln den Glanz ihrer Augen. Ihre Lippen erbeben und sie gesteht ihm ihre tiefempfundene Liebe.

Der Madrigalchor passt genau auf, wie er seine Lippen auf die ihren drückt und ihren Leib umfasst, als sie zum ersten Mal die Freuden der Liebe kosten.

Brangäne stößt einen Schrei des Entsetzens aus, wirft sich den beiden zu Füßen und will nun endlich auspacken. Die Unseligen sollen einhalten, denn der Zaubertrank, den die Mutter ins Fässchen gefüllt hat, ist für Isot und König Marke bestimmt, damit es zwischen dem ungleichen Paar funken soll. Für ihre Unachtsamkeit verdiene sie den Tod. Recht hat sie, aber nun ist es zu spät!

Die Leiber der beiden Liebenden beben vor Verlangen und der Tod soll ganz einfach kommen, wenn es ihm gefällt, Unregelmäßigkeit zu bestrafen. Das Schiff zieht seine Bahn in Richtung Cornwall, dem drohenden Unheil entgegen. Der Abend sinkt hernieder, und beide verlieren sich endgültig an die Liebe.

2. Teil:

DER WALD VON MOROIS

Erstes Bild:

Nach außen sieht es so aus, als ob Isot mit König Marke glücklich sei, aber das Herzleid ist groß. Die vier erwähnten Schurken haben längst mitbekommen, was sich hinter dem Rücken des Königs abspielt. Informiert, ist der König erzürnt über die heimliche Liebe und den begangenen Verrat der Menschen, die er wertschätzte und denen er grenzenlos vertraute. Die Ehre und das Ansehen des Königs fordert drakonische Bestrafung, auch wenn sein Herz den Weg des Verzeihens gehen möchte.

Tristan kann sich mit einem Sprung aus der brennenden Kapelle retten. Es gelingt ihm auch, Isot zu befreien, die König Marke zu den Aussätzigen gesteckt hat. Im Wald von Morois halten sich die beiden Ausgestoßenen versteckt und müssen ihren Tagesablauf und die Nahrungsbeschaffung den Umständen anpassen.

Zweites Bild:

König Marke sucht nach beiden Missetätern höchstpersönlich. Der Hinweis seines Försters hat ihm die Möglichkeit gegeben, den notdürftigen Unterschlupft in einer alten Hütte, in dem die beiden Zuflucht gefunden haben, ausfindig zu machen. Schöne Blüten ranken zur sommerlichen Jahreszeit empor, und der König findet beide schlafend im Innern der Behausung.

Marke bringt es nicht fertig, die einst so sehr geliebten Menschen mit einem Schwertstreich ins Jenseits zu befördern. Er erwägt stattdessen, sich selbst zu töten, kommt aber auch hier zu keinem Resultat.

Es liegt ein blankes Schwert zwischen den Schlafenden, woraus er schließt, dass beide das königliche Ehebündnis respektieren. König Marke ist ehrlichen Herzens erschüttert. Trotz glühend heißer Liebe, die das verräterische Paar verzehrt, wollen sie sich körperlich offenbar nicht näher kommen. Bei so viel Anständigkeit will der Erzürnte an Großzügigkeit nicht nachstehen. Die Gnade Gottes und seine eigene soll ihnen Schutz gewähren.

Drittes Bild:

Der Hintergangene lässt es sich jedoch nicht nehmen, den beiden Liebenden seine Anwesenheit kundzutun. Das Schwert, welches zwischen beiden liegt, wechselt er gegen sein eigenes aus.

Tristan hat die Fährte eines Hirsches verfolgt und sich mit der Heimkehr verspätet. Nachts überfallen ihn die Gedanken und er rekonstruiert die Vergangenheit. Er begreift, dass König Marke ihm zwar nicht verziehen hat, aber der Adel seines Herzens ihn daran hindert, ihm Schaden zuzufügen. Der Oheim hat viel für ihn getan, umgekehrt war sein Einsatz für die Interessen des Königs ebenfalls bedeutsam.

Isot könnte an der Seite des Königs ein angenehmes Leben führen und in seidebespannten Gemächern wohnen. Stattdessen ist sie verurteilt, ein karges unbeständiges Leben an seiner Seite zu führen. Seine Tränen kann er nicht zurückhalten, denn die Erinnerungen an seine Kindheit in der sorgsamen Obhut des Onkels überwältigen ihn. Wie gern hat der Liebenswerte seinem Harfenspiel gelauscht!

Viertes Bild:

Isolde findet einen kostbaren Ring an ihrem Finger. Es ist der Ring des Königs. Schuldgefühle quälen auch sie wegen ihrer verbotenen Liebe zu seinem Vasallen. Das ist nicht mehr der zornerfüllte Mann, der sie den Aussätzigen preisgab, welcher versucht, ihrer habhaft zu werden.

Sie empfindet, dass sie Tristans wonniges Leben durch ihr Dazwischentreten zerstört hat. Anstatt mit den Baronen durch die Grafschaft zu reiten und mit den Ritterfräulein der Minne zu pflegen, ist er nun gehetzt und verbannt zu wildem Leben in freier Natur.

Fünftes Bild:

Beide möchten gern die Zeit zurückdrehen und ergehen sich in Gedanken, wie schön es wäre, König Marke wieder zu versöhnen. Gern würde Tristan auf den Anblick Isots verzichten und nach Friesland oder in die Bretagne gehen, wenn er dadurch ihr beklagenswertes Schicksal verbessern könnte. Herz und Gedanken bleiben natürlich am alten Platz.

Das Paar kommt zu dem Schluss, den Eremiten Ogrin aufzusuchen, damit er für sie bete. Isot besteigt das Pferd, das Tristan am Zügel führt, und die ganze Nacht wandern sie wortlos dahin.

3. Teil:

DER TOD

Erstes Bild:

Trotz Liebe und Verzweiflung hat Isot es offenbar durchgesetzt, an den Hof von Tintagel zu König Marke zurückzukehren. Tristan irrt durch die Welt, kann getrennt von Isot nicht leben und nicht sterben. Seinem Freund Kaherdin klagt er sein Leid, seit über zwei Jahren keine Nachricht aus Cornwall bekommen zu haben. Deshalb glaubt er, dass Isot sich ihm entfremdet und ihn vergessen habe.

Herzog Hoël, der Vater seines Freundes, will sich dankbar erzeigen und bietet Tristan für geleistete Dienste an der Waffe seine Tochter, die auch Isolde heißt, zur Frau an. Die „Weisshändige“ sei von königlichem Geblüt. Tristan nimmt das Angebot an, ein Entschluss, der vom Madrigalchor bedauert wird.

Zweites Bild:

Tristan wurde in die Pflicht genommen, seinem Waffenbruder Kaherdin zu helfen, den aufmüpfigen Baron Bedalis in seine Schranken zu verweisen. Dieser hatte noch sieben Brüder, die ihm einen Hinterhalt legten. Einer nach dem anderen wurde von Tristan niedergemacht, doch er selbst wurde dabei unglücklicherweise von einer vergifteten Lanze schwer verwundet. Die Ärzte konnten mit ihren Kenntnissen in der Naturheilkunde nicht helfen, und das langsam wirkende Gift überwältigte seinen Leib. Sein Gesicht ward ganz bleich und er verlor zusehends an Gewicht, so dass die Knochen hervortraten. Das Gift bereitet ihm starke Schmerzen. Er fühlt sein Leben dahinschwinden und hat nur noch den einen Wunsch, Isot, die Blonde, noch einmal zu sehen. Aber wie sollte er zu ihr gelangen und das Meer überwinden?

Drittes Bild:

Sein Freund Kaherdin ist der einzige, dem er in seiner Not noch vertraut. Niemand darf sein Gemach betreten, ebenso wenig die angrenzenden Räume. Über das seltsame Verlangen wundert sich sein Weib sehr, und sie lauscht eines Tages an der Wand, an der das Bett von Tristan steht. Sie will erfahren, was die beiden Freunde zu besprechen haben. Tristan hat das dringende Verlangen, die unvergessene „Isot Blondhaar“ wiederzusehen. Er bittet Kaherdin um den Freundschaftsdienst, das Abenteuer zu wagen, mit einem Boot zu ihr zu segeln, um die Sachlage für ihn zu erkunden.

Der Chor beobachtet, wie Tristan weint und klagt und der Freund sich ihm voller Zärtlichkeit zuwendet und tröstend auf ihn einspricht. Der Gutmütige entschließt sich zur Reise, und Tristan soll ihm doch bitte sagen, was er der Königin auszurichten gedenkt.

Als Zeichen von ihm soll er ihr einen Ring überreichen und ihr vermelden, dass er sie von ganzem Herzen grüße. Labung kann nur von ihr kommen, und wenn sie nicht kommt, wird er wahrscheinlich sterben. Sie soll an vergangene Freuden und an die großen Bekümmernisse denken, die sie gemeinsam durchmachten. Die tapfere und zarte Liebe, die ihnen beschieden war. Der verhängnisvolle Kräuterkelch soll nicht in Vergessenheit geraten. Weiterhin soll sie an seinen Schwur denken, dass er niemals eine andere lieben würde und dass er das Versprechen bis jetzt gehalten habe.

Die „Weisshändige“, die an der Wand gehorcht hat, fällt ob solch abwegiger Sprüche aus allen Wolken, glaubte sie doch bisher, ihr Ehemann sei ihr in Liebe zugetan. Diesen maßlosen Verrat wird sie nicht überwinden. Der Madrigalchor ahnt Fürchterliches!

Der Freund soll sich sputen und ihm Isot Blondhaar zuführen. Er darf dazu sein Schiff benutzen, und wenn er zurückkommt soll er das weiße Segel setzen, falls er das Objekt seiner grenzenlosen Begierde dabei hat. Das schwarze Segel möge er hissen, wenn die Geliebte keine Lust hatte, mitzukommen und die Annehmlichkeiten des königlichen Hofes nicht missen möchte. Der Freund soll gesund und bald zurückkommen und Gott soll mit ihm sein. Mehr hat er ihm zum Abschied nicht zu sagen.

Viertes Bild:

Lustig eilt das Schiff dahin und hat fast die Küste von Cornwall erreicht, als ein fürchterlicher Sturm aufkommt. Dieser schlägt gegen die Segel und lässt das Schiff sich im Wirbel drehen. Der Wind brüllt, und gewaltige Wogen türmen sich. Das Meer wird schwarz, und schauerlich ergießt sich ein Wolkenbruch. Das Schiff befindet sich in Seenot und kann nicht manöverieren.

Isot Blondhaar hat sich Regenkleidung angezogen, steht erwartungsvoll auf der hohen Klippe von Tintagel und klagt fassungslos dem Sturm und den Wellen ihr Herzeleid. Wie ein Aufschrei kommt es von ihren Lippen. Die Ärmste! Nur ein einziges Mal noch möchte sie Tristan wiedersehen, bevor sie diese Welt verlässt. Gern will sie ertrinken in diesem ungastlichen Meer, wenn ihr ein Wiedersehen mit dem Geliebten verweigert ist. Der Schmerz ist grimmig und der Tod bedeutet ihr nichts. Wenn sie das Zeitliche gesegnet hat, kann er getrost die andere Isot lieben. Doch die Weissagung lautet, dass sie gemeinsam sterben werden.

Der Madrigalchor berichtet, dass nach anhaltender Windstille das schadhafte Schiff zeitverzögert wieder an die Küste der Bretagne zurückfand.

Isot Blondhaar hatte einen furchtbaren Traum. In ihrem Schoss hielt sie den Kopf eines toten Ebers, der ihr Kleid mit Blut besudelte. Nun weiß sie, dass sie ihren Freund nicht lebend wiedersehen wird.

Fünftes Bild:

Die Wartezeit hat Tristan mit Seufzen und Klagen verbracht. Isot will offenbar nicht kommen, und die körperlichen Schmerzen werden unerträglich. Endlich frischt der Wind auf, und am fernen Horizont kommt ein weißes Segel in sicht.

Isot Weisshand tritt ans Bett des Gemahls und berichtet, dass sie am Horizont ein Schiff gesehen habe, welches nun hoffentlich bringt, was er heiß ersehnte und Heilung verspricht.

Verständlicherweise ist ihr Herz aufgrund der ihr zugefügten Schmach voller Bosheit. Tristan erkundigt sich nach der Farbe des Segels. Die Unwahrheit berichtend, erklärt sie oben am Mast habe es gehangen, es sei schwarz. Tristan dreht sein Gesicht zur Wand und kann sein Leben nicht länger halten. Dreimal hintereinander spricht er die Worte: „Isot, Geliebte“ und gibt dann seinen Geist auf. Seine Gefährten heben ihn aus dem Bett und legen seinen Leichnam auf einen kostbaren Teppich.

Sechstes Bild:

Der Wind bläst mit neuer Kraft in die Segel und schiebt das Schiff auf den Strand der Bretagne. Isot Blondhaar entsteigt als erste dem Schiff und hört von überall her lautes Wehklagen und Glockenläuten.

Die Baritonstimme hat nun die beklagenswerte Aufgabe, die Trauernachricht zu übermitteln. Das größte Unheil, welches das Land jemals betroffen habe, sei eingetreten: Tristan ist tot! Der Madrigalchor bestätigt die traurige Wahrheit, und der Mezzosopran hält Ausschau, wie Isot mit wallendem Schleier den Weg zum Schloss emporsteigt, unfähig ein Wort zu sagen. Die Bretonen sehen ihr mit Bewunderung hinterher. Noch nie sahen sie eine Frau von solcher Schönheit. Wer ist sie, woher kommt sie? Isot, die Weißhändige, kauert an der Leiche und stößt aus Verzweiflung wilde Schreie aus, nachdem sie sieht was sie angerichtet hat und wer da kommt.

Isot, die Blonde, scheucht die Frau des Geliebten sofort von der Leiche weg und behauptet, dass sie wohl die größeren Rechte habe, ihn zu beweinen, weil sie ihn ganz sicher weitaus mehr geliebt habe. Zärtlich legt sie sich an die Seite des Freundes, küsst Mund und Gesicht und zieht besitzergreifend den Leichnam eng an sich. Sie beschließt, ihre Seele aufzugeben und stirbt an seiner Seite, damit die Weißsagung in Erfüllung gehe.

Siebtes Bild:

König Marke erfährt bald vom Tod der beiden lieben Menschen und lässt zwei schöne Särge anfertigen. Einen aus Chalcedon für Isot und einen anderen aus Beryll für Tristan. Die teuren Körper bringt er auf seinem Schiff nach Tintagel. Bei einer Kappelle lässt er zwei Gräber ausschaufeln, eines zur rechten und eines zur linken Seite der Apsis. In der Nacht wächst aus Tristans Grab ein Brombeerstrauch, grün und blattreich, mit starken Ranken und würzigen Blüten. Er wuchert über das Dach der Kappelle hinüber
und senkt sich auf der anderen Seite auf das Grab Isots. Mit seinen Gehilfen hat der Friedhofsgärtner den Strauch bis auf den Stumpf zurückgeschnitten, aber jede Nacht wächst er wieder aufs Neue mit üppigem Blattwerk und herrlichen Blüten. Dreimal hat man noch versucht, den Strauch zu stutzen, um dann aufzugeben. Befehl des Königs!

Epilog:

Die braven Minnesänger von einst, Béroul und Thomas, Herr Eilhart und Meister Gottfried, haben diese Geschichte nur für diejenigen Konzertbesucher, die lieben und nicht für die anderen, erzählt. Die Verblichenen und hoffentlich nicht Vergessenen bieten ihren Gruß allen, die Probleme mit der Liebe haben, egal ob sie nun glücklich oder missvergnügt oder vielleicht voller Sehnsucht sind. Bei den Minnesängern und Troubadouren der Vergangenheit finden sie Trost gegen den Schmerz, gegen die Unbeständigkeit, gegen die Geldnot, gegen das Unrecht, gegen die Qual, kurzum gegen alle Leiden, welche die Liebe mitbringt.

Hintergrundinformation

Der Musikfreund ist es gewohnt, seine Kenntnisse über Tristan und Isolde ausschließlich an Richard Wagner zu orientieren. Dieser bietet jedoch nur einen kleinen Ausschnitt der Tragödie.

Die Minnesänger und Troubadoure wussten viel mehr über das tragische Liebespaar zu berichten. Der Handlungsstrang verwirrt sich häufig, wird unübersichtlich, umständlich und unlogisch, weil jeder der mittelalterlichen Dichter die Akzente anders verteilt und kein Ende finden kann. Vieles bleibt konfus, weniges ist schmeichelhaft! Insbesondere in den Bilderhandschriften und Miniaturen kommen Isolde und König Marke äußerst schlecht weg. Marke verstreckt sich in einer Baumkrone, um die Liebenden beim Stelldichein zu belauschen. Der Liebestrank muss als Alibi für die Flatterhaftigkeit Isoldes (altfranzösisch Iseut) herhalten.

Liebe, Kampf, Wahnsinn und Magie waren die Zutaten, aus denen die alten Heldenlieder gewoben wurden. Das ist bei Lancelot und König Artus nicht anders als bei Roland, dem Paladin Karl des Großen, und was der alten Sagen mehr sind. Das Schicksal ist unerbittlich und folgt auf verwirrtem Pfade einer beängstigenden Konsequenz.

Der Schweizer Komponist Frank Martin hat sich nun der alten Heldendichtung angenommen und bedient sich der musikalischen Form des Oratoriums, um den Menschen der heutigen Zeit die Geisteswelt des Mittelalters näher zu bringen.


Letzte Änderung am 14.2.2008
Beitrag von Engelbert Hellen