Bernard Herrmann (1911-1975):

Moby Dick

Allgemeine Angaben zur Kantate

Widmung: Charles Ives
Entstehungszeit: 1936-38
Uraufführung: April 1940 von der New York Philharmonic Symphony unter Sir John Barbirolli
Besetzung: Soli, Männerchor und Orchester
Verlag: London: Novello, 1971
Bemerkung: In einem Vorwort entschuldigt sich Harrington, das Volumen des Romans geschrumpft zu haben, um den Text dem minimalen Bedarf für eine Kantate anzupassen. Lediglich die wichtigsten Passagen habe er der Dichtung Melvilles entlehnt. Der Handlungsstrang ist dennoch erhalten geblieben. Das lebendige Bild der Situation, welches der Komponist in berauschenden Farben eingefangen hat, ersetzt die ausufernden philosophischen Betrachtungen der Dichtung. Die Chorszene „Yaeh, Yaeh, Hip, Hip...“ könnte lautmalerisch nicht besser dargestellt sein.

Bekannt geworden ist der Komponist durch seine Filmmusiken. Es bleibt zu wünschen, dass seine Kantate „Moby Dick“ nicht der Vergessenheit anheim fällt.

Zur Kantate

Art: Kantate für Männerchor, Solisten und Orchester
Text: W. Clark Harrington in Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Herman Melville
Sprache: englisch

Personen der Handlung

Ishmael: Matrose (Tenor)
Ahab: Kapitän eines Walfangschiffes (Bass)
Starbuck: Erster Steuermann (Tenor)
Pip: Schiffsjunge, Blackboy
Weitere: Matrosen

Handlung

1
Während des Orchestervorspiels verkündet ein Männerchor bedeutsam, dass Gott die Wale erschaffen habe! „Nennt mich Ishmael“, stellt der sympathische Seemann sich in seinem Tenorsolo vor. Einige Jährchen hat er auf dem Buckel, die genaue Zahl hat er sich nicht gemerkt. Entweder hat er nur wenig oder gar kein Geld in der Tasche und nichts, was ihn an Land interessieren könnte. In nächster Zeit wird er ein bisschen zur See fahren, um den wässrigen Teil der Welt kennen zu lernen. Manchmal kennt er sich selbst nicht wieder, wenn der Grimm in ihm kocht und fluchende Worte seinem Mund entfahren. Wenn er sich unter Druck fühlt und nieselndes Novemberwetter in seiner Seele herrscht, überschlägt er den Zeitraum, der es ihm erlaubt, in Zukunft noch das Meer befahren zu können. In wilder Selbstgefälligkeit huldigt er der Vorstellung, dass es noch ein Weilchen andauern wird. In seinen Fantasieträumen ziehen in endloser Prozession Wale vorbei. In ihrer Mitte ragt ein gigantisches Phantom wie ein Schneehügel in den Himmel.

2
Stellvertretend für den Einzelnen singt der Chor der Walmänner traditionell einen Choral, um sich in die Obhut des Schöpfers zu begeben. Tiefes Vertrauen in seine Führungskraft macht den Walfang überhaupt möglich. Der Walfänger weiß, dass er aus eigener Kraft den Naturgewalten nichts entgegenzusetzen hat und den Meeressäuger niemals bändigen könnte. Seinen Respekt leugnet er nicht, sein Gottvertrauen macht ihn mutig. In trostloser Düsterkeit wölben sich die Rippen des Wals über den Seemann ebenso wie seine Furcht. Gottes sonnenbeschienene Wellen rollen vorbei, heben und senken ihn zu seinem Verderben. In den offenen Schlund der Hölle hat er geschaut und endlose Pein dort wahrgenommen. Was die Seelen fühlen, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Eingetaucht in Verzweiflung rief er in schwärzester Not zu seinem Gott. Ob ihr es glaubt oder nicht, er beugte sich herab und lieh sein Ohr dem Bekümmerten. Furcht vor dem Wal kann sein Handeln nun nicht mehr beschränken. Von einem glänzenden Delphin getragen flog der Erretter mit hoher Geschwindigkeit zu seiner Befreiung herbei. Furchterregend, dennoch in lichtem Glanz erstrahlend, vollbrachte er sein Werk. Diese furchtbare und gleichzeitig freudvolle Stunde wird durch ihren Gesang für immer aufgezeichnet werden. Der Chor verkünde die Herrlichkeit Gottes. Sein ist die Macht und er bekundet seine Dankbarkeit.

ORCHESTRALES ZWISCHENSPIEL

3
Der letzte Anker wird gelichtet, die Segel werden gesetzt. Das Schiff sticht in See. Der kalte Dampf der Nacht bläst seinen Dunst in den Himmel. Kreischende Möwen fliegen am Tag über ihre Köpfe.
Schicksalhaft taucht das Schiff ein in den einsamen Atlantik.

War es nicht ein großer Augenblick, als der Kapitän die Kabinen-Gangway heraufkam, um eine Ansprache zu halten? Alle sollen herkommen, die Matrose von achtern und auch diejenigen aus den Mastkörben. Seine erste Frage lautet „Was werdet ihr tun, wenn ihr einen Wal seht, Männer?“ „Ihr Ruf wird erschallen, ihn anzukündigen!“ „Gut, und was werden die Männer als Nächstes tun?“ „Das Tempo anpassen und ihm nachjagen“ „Was wird das Resultat sein?“ „Entweder ein toter Wal oder ein kochendes Boot!“ Nun tut Ahab etwas ganz bedeutsames: Er holt eine spanische Goldmünze hervor. Können sie alle sehen? Derjenige, der ihm zuerst den weißköpfigen Wal mit der gefurchten Stirn und der krummen Kinnbacke ankündigt, wird diese Goldunze als Belohnung erhalten! „Huzza, Huzza“. Die Beschreibung des Kapitäns passt exakt auf den Wal, der unter dem Namen Moby Dick die Meere kreuzt.

Aye, Aye! Der Käpt'n wird ihn jagen – rund um das Horn, rund um Norwegens Maelstrom, bevor er aufgeben wird. Um den weißen Wahl zu jagen - auf der nördlichen wie auf der südlichen Halbkugel -
hat Ahab die Mannschaft angeheuert. In allen Zonen dieser Erde wird er nach ihm suchen, bis er schwarzes Blut spuckt und tot in die Fluten zurückrollt. „Was sagt ihr nun Leute?“

Aye, Aye! Ein scharfes Auge werden sie auf die weißen Wale haben und eine scharfe Lanze für Moby Dick. Ahab hasst das Untier, welches ihm ein Bein ausgerissen hat, und lässt die Männer schwören, seine Rache zu vollenden. Tod für Moby Dick!

4
Aye, Aye Die Sonne geht unter und die Seele steigt auf. Ahab verspürt Lust zu meditieren. Zuerst
beschäftigt er sich mit dem abendliche Farbenspiel, um sich dann abrupt der eisernen Krone der Langobarden zuzuwenden. Sie ist prachtvoll, mit vielen Gemmen geschmückt. Im Geiste sieht er ihr fernes Blinken und dumpf fühlt er, dass er sie trägt. Von der Beschaffenheit des Materials weiß er, dass es kein Gold, sondern Eisen ist. Das Gewicht drückt auf die Schläfen. Die gezackte Kante ärgert ihn. Sie hindert seinen Geist, sich gelassen zu entfalten, weil der Verstand immer gegen das Material schlägt. Braucht er diesen Helm überhaupt? Zu dem Gefecht, welches er zu führen gedenkt, bedarf es keiner Krone. Seine Stirn sollte sich nicht erhitzen. Sonnenaufgänge stacheln ihn an und Sonnenuntergänge beruhigen ihn. Für ihn leuchtet das liebliche Licht nicht. Seine Einsamkeit ist ihm schweres Leid. Obwohl er von der Schöpfung mit außerordentlicher Wahrnehmung bedacht wurde, kann nichts mehr ihn ergötzen. Er hat einen Tiefpunkt erreicht, an dem ihn nicht einmal Macht erfreut. Verdammt ist er inmitten des Paradieses. Gute Nacht, Ahab!

5
Mitternacht auf dem Vorderdeck, die Seeleute und die Harpuniere singen vergnügt

Hist, boys! Let's have a jig!
Go it! Pip! Bang it. Bell boy!
Hurrah with your tambourine!
Rig it! Dig it! Stig it! Quig it!
Make a pagoda of thyself. Break the jinglers!
A ring! A ring! Jig it men!

SCHERZO FÜR ORCHESTER

6
Yeah! Yeah! Yeah!
Yeah! Yeah! Hip!
Hip! Hip! Hip!
Hip! Hip! Hip! Hip! Hip!
Hip! Hip!
Hip! Hip! Hip!
Hip! Hip! Hip!
Oh! Jolly is the gale,
And a Joker is the whale,
A flourishing his tail.

Lustig ist der Sturmwind, ein Joker ist der Wal, sein Sterz bringt reichen Ertrag.

Such a funny, sporty, gamey, jesty, hocky-pocky lad is the ocean.
Oh, thunder splits the ships
But the only smacks his lips
A tastin of this flip.

Yeah! Yeah! Yeah!

ORCHESTRALES ZWISCHENSPIEL

7
Hände an die Flaggenleine! Raffe das Topseil! Eine Sturmbö ist im Anzug.

Pip, der afrikanische Schiffsjunge hat ein besonderes Gespür für das Übersinnliche. Du großer weißer Gott in der Höhe. Drüben ist jemand in der Dunkelheit. Habe Mitleid mit diesem kleinen Blackboy. Bewahre ihn vor allen Menschen, die niemals Furcht empfinden

ORCHESTRALES ZWISCHENSPIEL

8
Ishmael und Ahab verbringen den Tag mit meteorologischen Beobachtungen. Ishmaels Gedanken schweifen ab. Sie wandern zum Alten Testament und sind bei Samson und Dalila angelangt. Der Liebste hat seinen Kopf an ihre Brust gelegt und keine Ahnung, dass die Verführerin ihm den Schopf abschneiden wird. Ahab diskutiert mit dem Ersten Steuermann. Der Wind ist mild, und mild gibt sich auch der Himmel. Die Wolken verströmen ein merkwürdiges Aroma, als ob man in den fernen Anden das Heu einfahren würde.

Was sieht der Mann im Mast? „Nothing Sir, nothing at all!” Unverzüglich korrigiert er sich. Mit seinem Fernrohr hat er einen Schneehügel wahrgenommen. Das muss Moby Dick sein. Alle Mann an Deck! Ahabs Kommandos überstürzen sich. Er beabsichtigt, es höchstpersönlich mit dem Leviathan aufzunehmen. Starbuck wird von Emotionen geschüttelt. „Oh! My Captain! – go not! Go not! See it is a brave man that weeps.” Der Steuermann soll sich nicht klein machen und bei der Crew stehen. „The sharks! The sharks” Die Männer haben die Wale nun bemerkt. „Oh master, my master, come back!”

9
Mit einem Kleinboot hat Ahab sich ins Wasser gelassen. In seinem grenzenlosen Hass will er den Leviathan mit seinem Ruder attackieren und den Speer in sein lidloses Auge rammen. Er weiß, dass er den Zweikampf nicht überleben wird. Ein Sarg wird für ihn nicht erforderlich sein und ein Leichenwagen auch nicht. Aus der Ferne beobachtet Starbuck das Geschehen. „Oh! Ahab, see Moby Dicks seeks thee not! It is thou, that madly seekest him!” Der Wal suche ihn nicht! Er selbst sei es, der in verrückter Absicht den Wal töten will! Ahab ist nicht zu bremsen. Seinen Rachgelüsten folgend, ist ihm das Schicksal der Mannschaft und des Schiffes gleichgültig. Die Zeit, um ein verworrenes Abschiedsgebet zu sprechen, gönnt er sich noch. „Du verdammter Wal. Ich gebe dir den Speer!“ Ein gewaltiger Aufschrei der Mannschaft. Das Ende des Walfängers und seiner Mannschaft ist besiegelt.

10
Als Epilog spricht Ismael die klassischen Worte: “And I only am escaped alone to tell thee.”


Letzte Änderung am 4.1.2008
Beitrag von Engelbert Hellen