Elliot Goldenthal (geb. 1954):

Fire Water Paper: A Vietnam Oratorio

deutsch Feuer Wasser Papier: Ein Vietnam-Oratorium

Allgemeine Angaben zum Oratorium

Anlass: Auftrag des Pacific Symphony Orchestra
Entstehungszeit: 1993-94
Uraufführung: April 1996 in New York (Carnegie Hall)
Orchester: Boston Symphony Orchestra
Dirigent: Seiji Ozawa
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 65 Minuten

Zum Oratorium

Art: Oratorium in 3 Teilen
Libretto: zusammengestellt von Elliot Goldenthal
Sprache: englisch und vietnamesisch

Handlung

1. Teil:

Part 1: Offertorium

Der Frauenchor rezitiert ein Gedicht aus der Sammlung „Die Lotosblume im Flammenmeer“ des vietnamesischen Zen-Mönchs Ngo Ãn:

„Der auf dem Berg entzündete Jadestein bewahrt seine warme Farbe,
die Lotosblume verbrannte im Ofen und verdorrte nicht.“

Der Solosopran erklärt hierzu, dass es sich hierbei um Worte handele, welche die Studentin Nähr Chi Mai am 16. Mai 1967 niedergeschrieben hat, bevor sie sich mit Bildnissen der Jungfrau Maria und des buddhistischen Gottes Quan Yin (Gott der Gnade) umgab und sich selbst verbrannte. Sie wünschte sich, dass ihr Körper ihr als Fackel diene, welche die Dunkelheit vertreiben werde.

Chor und Sopran stimmen ein Requiem an und fragen im Himmel an, ob ihre Lobgesänge angenommen werden. Sie sollen ihre Bitte unterstützen, dass die verstorbenen Seelen, an die sie gerade denken, zum ewigen Leben hinüberwechseln werden. Der Solosopran wünscht sich, dass ihr Körper auch als Fackel dienen werde, damit er die Dunkelheit vertreibt. Zwischen den Menschen soll die Liebe wieder erwachen, damit auch Vietnam Frieden findet. Ständige Wiederholung der Strophen sorgt für den erforderlichen Nachdruck. Der Herr möge sich daran erinnern, was er einst Abraham verheißen habe. Die Seelen der Verstorbenen sollen nicht in ungeahnte Tiefen stürzen, sondern der heilige Bannerträger Michael soll sie ins heilige Licht geleiten. Die heilige Gottesmutter soll doch bitte die Wunden des Gekreuzigten in ihre Herzen einbrennen. Der Wunsch des Solosoprans ist es, teilzuhaben an ihrer Trauer.

VIOLONCELLO-KADENZ

Der vietnamesische Kinderchor trägt ein Lied vor:

„Wir wollen hüpfen, hopsen und springen
und einen Spaziergang
zur Himmelspforte machen.
Onkel und Tante
lasst mich zurückgehen;
Ziege, geh zur Schule,
Kröte, bleib daheim
Huhn, zerkratz den Plunder.
Wir wollen schunkeln,
bis alle hinfallen!“

Der Solobariton stimmt nun ein tragisches Lied mit dem Titel „Du und ich verschwinden“ des Dichters Yusef Komunyakaa an, der auch am Vietnamkrieg teilgenommen hat. Er schildert, wie er in den Bergen den brennenden Körper eines Mädchens gesehen hat, und wird dabei vom Violoncello begleitet.

„Der Schrei, den ich von den Hügeln mit hinunter bringe, gehört einem Mädchen, das mir noch immer im Kopf brennt. Bei Tagesanbruch brennt sie wie ein Stück Papier. Ein flammendes Kleid umtanzt sie in der Dämmerung. Sie brennt wir Öl auf dem Wasser. Sie brennt wie ein Rohrkolben, getaucht in Benzin. Sie glüht wie das Ende der dicken Zigarre eines Bankiers. Sie brennt wie ein Schluck Wodka. Sie brennt wie ein Mohnfeld, am Rande eines Regenwaldes. Sie brennt wie ein brennender Busch, angefacht von einem fürchterlichen Sturm.“

Der Chor stimmt nun einen liturgischen Gesang an: „Stabat mater dolorosa“. Durch ihre betrübte Seele voller Elend und Schmerz bohrte sich das Schwert.

2. Teil:

Part 2: Scherzo

Das zentrales Motiv ist das beschriftete Papier, Schriften die vom Krieg aller Art berichten.

Der Scherz beginnt mit einem Kinderchor, der eine spaßiges Volkslied „von einem Sänger mit der schlechten Stimme“ vorträgt. Er singt von Hunden, die knurren, und von Ochsen, die flüchten. Des weiteren kommen Frauen vor, die ihre Männer verlassen, sowie Kühe, die muhen. Schwache Männer kommen aus ihren Hütten gekrochen - alles sehr komisch.

Die klassische Antike wird auch bemüht. Vergil wird mit dem Vermerk eingestreut, dass viele Kriege auf der Welt geführt würden. Gleichermaßen geschähen viele furchtbare Taten. Benachbarte Städte brächen ihre Bündnisse und griffen zu den Waffen. Weitere belanglose Sprüche kommen von Cicero und Horaz, immerzu unterbrochen von den schwachen Männern, die aus ihrer Hütte gekrochen kommen. Tacitus hält die Weisheit bereit, dass Rauben, Niedermetzeln und Plündern der falsche Name für das Wort „Imperium“ sei. Amadis Jamyn (1540-1593) bereichert den Zitatenschatz mit der Bemerkung, dass die Sterblichen oft nur Kriege für den Wind führen.

„Seigneur, ayez pitié de nous“

Die Masche wird gewechselt. Die einzelnen Gruppierungen des Chors kommen nach Stimmfächern geordnet zum Durchbruch. Die Gruppen zählen die Namen auf, unter denen die einzelnen Aktionen zusammenlaufen. Da gibt es die Operation Eichelhäher, die Operation Pegasus, die Operation Schnabeltier und die Operation Mittagessen. Dem Einfallsreichtum sind keine Grenzen gesetzt. Endlos geht es weiter. Offenbar will der Musikschöpfer darlegen, zu welchem Schwachsinn Papier im Prinzip genutzt wird.

3. Teil:

Part 3: Hymnus

Das Wasser ist als Attribut noch nicht angeführt worden. Es geht um Salzwasser, welches „Boat People“
transportiert, und um Trinkwasser, das zum Überleben notwendig ist. Hierzu wieder ein Gedicht von Yusef Komunyakaa, das die Situation schildert:

„Nach Mitternacht nehmen sie die Ladung auf.
Hundert Schatten bewegen sich blind.
Der Halbschlaf
überdeckt die gedämpften Stimmen,
die einem roten Horizont entgegentreiben.
Diese Nacht ist ein schwarzes Band,
gezogen vom Mond.
Das Schiff steuert irgendwo hin.
Zum Glück entkam man den Suchscheinwerfern,
flach übers Meer kriechend -
wie eine Frau, die Wasser
aus ihrem langen dunklen Haar schüttelt.“

Sturmwarnungen knistern im Radio. Verwundet von Zweifeln und vom Salz. Dämmerung hängt über dem Wasser. Benebelt sind sie von ihren Hoffnungen. Die Boat People klammern sich aneinander. Trost kommt aus der christlichen Bibel. Aus dem Alten Testament tönt Jeremias, dass alle herkommen sollen. Zu Wasserbächen will er sie führen. Auf ebenen Wegen geht die Reise, damit keiner zu Fall kommt.

Hintergrundinformation

Angeregt durch das Pacific Symphony Orchestra entstand in Elliot Goldenthal das Bedürfnis, die Erfahrungen und die Erinnerungen an den Vietnamkrieg musikalisch zu zelebrieren. Zwanzig Jahre nach Kriegsende im Jahre 1975 war der geeignete Zeitpunkt gekommen, die Gefühle und momentane Einstellung der Kriegsteilnehmer und der Menschen, die unter den Auswirkungen zu leiden hatten, in Musik zu setzen und so nochmals auf die Geschehnisse einzugehen.

Die Macht der Musik sollte ihren Anteil beitragen, entstandene psychische und seelische Schäden zu mildern oder zu neutralisieren und eine Brücke zu bauen. Das Werk stützt sich auf die Äußerungen von Kriegsveteranen und der vietnamesischen Gemeinde von Orange County in Kalifornien, die zu einem Dialog eingeladen wurden. Man war sich sicher, durch die Form des Oratoriums, welches choristische und orchestrale Elemente miteinander verbindet, der Zuhörerschaft aus asiatischer und abendländischer Kultur gerecht zu werden. Die geäußerten Empfindungen und Einschätzungen über die Nachwirkungen bis in die heutige Zeit wurden summiert und flossen in das musikalische Werk ein.

Das Oratorium gliedert sich in drei Abschnitte, welche das Feuer, das Papier und das Wasser zum Thema haben. Ein Offertorium, ein Begriff aus der christlichen Theologie, untermalt musikalisch die Zeremonie der Opferung von Brot und Wein. Im übertragenen Sinn deutet der Komponist damit an, dass die Menschen im Krieg auch ihr Leben für andere geopfert haben. In unheilvoller Verbindung prallen der Krieg und die Religion zweier Glaubensrichtungen aufeinander und vermehren die schmerzlichen Erfahrungen.


Letzte Änderung am 2.2.2013
Beitrag von Engelbert Hellen