Karl Ditters von Dittersdorf (1739-1799):

La Liberatrice del Popolo Giudaico nella Persia, o sia l' Ester

deutsch Die Befreyerin des jüdischen Volks in Persien, oder, Esther

Allgemeine Angaben zum Oratorium

Entstehungszeit: 1773
Uraufführung: 19. Dezember 1773 in Wien
Besetzung: Soli, Chor und Orchester
Spieldauer: ca. 70 Minuten
Verlag: New York: Garland Pub., 1987
Opus: Krebs 318

Zum Oratorium

Art: Oratorium in elf Bildern
Libretto: Abbé Salvatore Ignaz Pius (Padre Pintus) nach dem Buch Esther, 3. und 4. Teil
Sprache: italienisch
Ort: Persien
Zeit: zur Zeit der Achämeniden (Artaxerxes. 405-359 v. Chr.)

Personen der Handlung

Ahasverus/Artaxerxes: König von Persien (Tenor)
Esther: seine Gemahlin (Sopran)
Mordechai: Verwandter der Königin (Bass)
Haman: persischer Heerführer (Tenor)
Zare: seine Frau (Sopran)
Atta: Vertrauter der Esther (Sopran)

Handlung

OUVERTÜRE

Nr. 1 CHOR DER BEGLEITER HAMANS

Der Madrigalchor gibt sich blutrünstig und nimmt Partei für den persischen Heerführer Haman. Dieser vertritt die Ansicht, dass man die Juden, die in Persien leben, zum qualvollen Tod schleppen soll. In den Gassen Persiens soll ihr Blut in Strömen fließen.

Haman selbst sieht die Sachlage etwas lyrischer. Der Vollmond am Himmel soll das Tempo ein wenig beschleunigen, denn Haman neigt zur Ungeduld. Das Wehklagen, das Geseufze, ihr Tod und erst seine Rache verschaffe ihm seinen Seelenfrieden.

Nr. 2 CHOR DER JUDEN

Die Juden betonen, dass sie Adams und Isaaks Söhne sind, sich zurzeit im Elend befinden und barbarischen unmenschlichen Feinden ausgeliefert seien. In Hamans Krallen werden sie voraussichtlich zugrunde gehen. Der Herr soll ihre Tränen sehen, sich ihrer erbarmen und das Unheil entfernen. Sie sehen ein, dass ihre Sünden schwer sind, aber zur Bestrafung sei nur er allein zuständig.

Nr. 3 ALTSOLO

Eine herrliche Altstimme, von der niemand weiß, welcher Person sie zuzuordnen ist, gibt sich emotional stark erregt. Sie bebt vor gerechtem Zorn, der sich offenbar gegen Hamann richtet, den sie vor ihrem geistigen Auge in einen tiefen Abgrund versinken sieht.

Ein Wesen namens Acheron besitzt furchtbare Höhlen, die man durch unterirdische grauenvolle Schluchten erreicht. Dort, wo niemand sie sieht, will der Racheengel die zügellose Schamlosigkeit begraben lassen.

Nr. 4 – 5 CHOR

Der Madrigalchor lässt sich mitreißen. Das Herz der Erbosten pocht deshalb so ungestüm, weil sich Zorn, Wut und Hochmut der Feinde gegen das Geheiligte Volk richten. In dieser Not sieht man aus dem versöhnten Himmel der Hoffnung schönen Strahl aufblitzen.

Nr. 6 REZITATIV UND DUETT (Ahasverus und Esther)

König Ahasverus hört, wie die Stadt Susa ihren gerechten König lobt. Die Beschenkung Mordechais hält es für gerechtfertigt. Der König fühlt sich durch den Beifall erquickt, denn er hat große Sorgen. Der Untertanen Zustimmung sieht er mit Erleichterung. Er wünscht sich, dass seine Perser nicht Ruhm, sondern Tugend suchen, so wie er es ihnen vormacht.

Esther entschuldigt sich für ihr Erscheinen. Die Gefühle der Liebe rasen in der Brust des Königs, und dieser versucht die Beklemmung der Königin zu dampfen. Sie soll ihn nicht Majestät, sondern darf ihn Gatte nennen.

Esther, das Licht seines Lebens, soll dem König endlich sagen, warum sie erregt ist. Die Ursache soll die Liebste ihm erklären! Ihr strahlender Blick belebe allein sein Herz. Nun kommt es heraus! Sie hatte Angst, weil sie seine Strenge gesehen hat. Die Pein hätte sie fast getötet. Der König gibt ihr ein Versprechen: Wenn sich das Antlitz unverzüglich erheitert, bekommt sie das halbe Königreich als Geschenk. Esther reagiert vernünftig. Das Königreich will sie gar nicht haben. Ihr genügt die zarte Zuneigung seines Herzens.
An dieser Stelle reißt der Handlungsfaden ab.

Nr. 7 ARIE (Zare)

Zare will von den Göttern wissen, ob das Beben, das sie beim süßen Wort Hamans fühlt, ein Bote der Freude ist oder qualvolles Leid bedeutet? Die Himmlischen mögen ihr doch bitte das Geschick enthüllen, welches das traurige Pochen des Herzens ihr verkündet. Den bergenden Schleier sollen sie von ihren Zweifeln wegziehen.

Nr. 8 ARIE (Atta)

Keiner weiß, wer die Dame ist, aber auch sie hat Nöte. Auch wenn der Geliebte von ihr getrennt ist, wird sie ihm weiterhin die Treue halten. Allerdings weiß sie nicht, ob sie ohne ihn überhaupt noch leben kann. Die süße Hoffnung weint, und die Kraft verlässt sie. Gütiger Himmel, was ist das heute nur für ein Tag? Sie fragt die Sterne, was sie verbrochen hat.

Wer der geliebte Mensch ist, erfährt der Konzertbesucher nicht.

Nr. 9 ARIE (Mordechai)

Mordechai bezieht sich auf die Unwissenheit im Allgemeinen. Wenn jemand im Nebel der Sünde umherirrt und das Licht Gottes ihn nicht leitet, kann er die Wahrheit nicht erkennen. Mehr weiß er nicht zu sagen.

Nr. 10 - 11 CHOR, ESTHER UND ZARE

Der Madrigalchor wünscht dem persischen Königshaus, dass das Lächeln der Grazien über ihm walte, zusätzlich einen heiteren Himmel und sanfte Winde. Vom König Ahasverus soll das Unheil fernbleiben. Ein geeigneter Weggenosse sei die sanfte Freude, die zum Glücklichsein völlig ausreicht. Zum Heil der Völker, die ihn verehren, soll der König stets auf den Pfaden der Pflicht wandeln.

Persien und Israel loben den Liebreiz Esthers, der Königin Persiens. Der Macht des Ahasverus wird Wertschätzung entgegengebracht, wenn sie in Gerechtigkeit und Huld regiert.

Hintergrundinformation

Dittersdorf hatte eine Abneigung gegen den Librettisten Pietro Metastasio, weil er die Ansicht vertrat, dass dem Genie zu Chorszenen keine Texte einfallen würden. Das Komponieren von Chören war aber nun seine Stärke, und deshalb folgte er den Wünschen des kaiserlichen Hofkapellmeister Florian Gassmann, ein Oratorium zu komponieren, nur unter der Voraussetzung, wenn er selbst den Texter auswählen dürfe. Der unglückliche Zufall führte ihm den Abbé Salvatore Ignaz Pius zu, der den Bibeltext dermaßen verstümmelte und verunstaltete, dass die Nachwelt sich von dem Werk abwandte. Das Oratorium ist keineswegs als Fragment gekennzeichnet.

Als Komponist legte sich Dittersdorf mächtig ins Zeug, weil es galt, den berühmten Johann Adolf Hasse vor dem Kaiser Joseph II. auszustechen. Die Arbeit ging leicht und unbeschwert von der Hand, so dass die fertige Komposition kurzfristig vorlag. Die Chöre sind mit Melodie und Rhythmus reichlich bedacht und die Altistin darf sich glücklich schätzen, ein Juwel von einer Arie in die geläufige Gurgel gestopft zu bekommen.

Der Verbreitung des Werkes stehen in heutiger Zeit die Konkurrenz Händels, der ebenfalls eine Esther komponiert hatte, und das katastrophale Machwerk des geistlichen Herrn Abbé Pius im Weg. Die Budapester Nationalbibliothek besitzt eine unvollständige Abschrift der Partitur, nach der 1978 ein Tondokument in glanzvoller Besetzung vorgelegt wurde. In Berlin und Wien existierten zwei vollständige Abschriften des Werks.


Letzte Änderung am 24.2.2010
Beitrag von Engelbert Hellen